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Wahlverwandschaften
Die Wahlverwandtschaften (Insel-Ausgabe)
, 1809 Von Johann Wolfgang von Goethe. |
«Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht, um frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme zu bringen.»
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Der Inhalt
Dem Plan nach sind die "Wahlverwandschaften" eine Novelle, sie wuchsen sich aber zu einem zweibändigen Roman aus: dem "ersten modernen Problemroman" der deutschen Literatur. Hält man den früheren Roman, die "Wilhelm Meister" dagegen, so erkennt man den weiten Weg, den Goethe inzwischen gegangen ist. Der "Wilhelm Meister" ist in jedem Strich ein Werk des ästhetischen 18. Jahrhunderts. Die Wahlverwandschaften sind schon ganz ein Werk des naturwissenschaftlichen 19. Jahrhunderts.
Dem Plan nach sind die "Wahlverwandschaften" eine Novelle, sie wuchsen sich aber zu einem zweibändigen Roman aus: dem "ersten modernen Problemroman" der deutschen Literatur. Hält man den früheren Roman, die "Wilhelm Meister" dagegen, so erkennt man den weiten Weg, den Goethe inzwischen gegangen ist. Der "Wilhelm Meister" ist in jedem Strich ein Werk des ästhetischen 18. Jahrhunderts. Die Wahlverwandschaften sind schon ganz ein Werk des naturwissenschaftlichen 19. Jahrhunderts. In den "Wahlverwandschaften wird nicht das Individuum, sondern das höhere Recht der menschlichen Gemeinschaft gepredigt: die Ehe als die Grundlage der sittlichen Kultur ist heilig und unverletzlich, und die Individuen, die aus einem Zwange ihres Wesens dagegen ansstreben, müssen untergehen. |
Titel der Erstausgabe
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Aus physikalischen Studien und nach chemischen Vorgängen wählte Goethe den Titel; die fatalistisschen Anschauungen, die in der zeitlich romantischen Literatur lebendig waren und zum Schicksalsdrame führten, wirken auch hier; wie "wahlverwandte" chemische Stoffe, andere Mischungen lösend, unwiderstehlich sich anziehen und sich in neuer Verbindung einen, so werden wahlverwandte Naturen willenlos zueinander getrieben. Widerstreben ihrer Vereinigung aber Bindungen, deren Unverletzlichkeit im allgemeinen sittlichen Interesse gefordert werden muss, so ist Entsagung Pflicht oder Untergang das Ende. Ein Einzelfall ist hier symbolisch und typisch gestaltet; aus freundschaftlich-konventioneller Ehe werden Eduard und Charlotte zu den in ihren Kreis tretenden Wahlverwandte gerissen, diese zu dem Hauptmann, jener zu Ottilie. Durch entschlossene Entsagung siegt und sühnt das eine Paar, durch Untergang das andere. Das ganze Werk überaus sittlich: ein hohes Lied auf die Heiligkeit der Ehe. Eine Problemdichtung, die einzige größere Goethes, die bewusst "nach Darstellung einer durchgreifenden Idee" strebt.
Aus: "Geschichte der englischen Literatur" von Richard Wülker (Artikel von Ernst Groth).
Der Verfasser
Goethe-Portrait von Heinr. Christ. Kolbe
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Ein paar Stichworte werden genügen, um Goethes Leben für jeden in hellen Farben heraufzubschwören. In dem wohlbekannten Haus am Hirschgraben zu Frankfurt am Main wird er am 28. August 1749 einem tüchtigen, aber unfrohen, damals 39jährigen Vater und einer 18jährigen, immer fröhlichen Mutter geboren - einer Mutter, die als "Frau Rat", als "Frau Aja" zu den unvergesslichen deutschen Frauengestalten gehört. Seine Kindheit ist reich an starken Eindrücken (Bibel, Puppentheater, Messe, Einquartierung, der "Königsleutnant" Graf Thoranc, französisches Theater, erste Liebe zu Gretchen usw.); Privatunterricht bringt den frühreifen Knaben daneben schnell in allen Wissensfächern vorwärts.
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Im Oktober 1765 trifft er zum Studium der Jurisprudenz im galanten Leipzig ein, wo er tüchtig darauflos lebt, im Geschmack der Zeit anakreontisch tändelt und in Beziehungen zu Kätchen Schönkopf tritt. Mit geknickten Schwingen, krank, "ein Schiffbtrüchiger", kehrt er 1768 nach Frankfurt zurück, lässt sich von Mutter und Schwester gesund pflegen und von dem frommen Fräulein von Klettenberg zu einem mystischen Pietismus bekehren. April 1770 bezieht er dann die Universität Straßburg, an der er 1771 den Grad eines Lizitiaten erwirbt. Bestimmend werden hier zwei Erlebnisse: der Verkehr mit Herder und die Liebe zu Friederike Brion. Durch Herder wird Goethe vom "französischen" Geschmack geheilt, auf deutsche Kunst, Homer, Shakespeare, das Volkslied gewiesen und gleichsam sehend gemacht; durch die Neigung zu dem 18jährigen "Rikchen", der blondköpfigen, blauäugigen Tochter des Sesenheimer Pfarrers, werden alle seine Gemütskräfte stärker entwickelt, und schon erklingen mit dem "Heidenröslein" und mit "Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde" unsterbliche lyrische Naturlaute. Die nächsten vier Jahre (1771-1775) sind die poetisch ertragreichsten in Goethes ganzem Leben. Er war 1771 Advokat in Frankfurt geworden und schrieb hier den "Götz von Berlichingen", den er 1773 umarbeitete und anonym erscheinen ließ. Vom Mai bis September 1772 war er Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar, verliebte sich leidenschaftlich in die hausmütterliche Amtmannstochter Charlotte Buff, die Braut Kestners, riss sich los und verwebte, nach Frankfurt zurückgekehrt, Wetzlarer Herzenserfahrungen und andere Erlebnisse in die Anfang 1774 niedergeschriebenen "Leiden des jungen Werthers". Fast zu gleicher Zeit ensteht der größte Teil des Faust I, der vor allem schon die ganze Gretchentragädie enthält; Prometheus, Mahomet, Ewiger Jude bleiben Fragmente; Farcen und Satiren, Clavigo, Stella schließen sich an. Die Verlobung mit der 16jährigen schönen und klugen Bankerstochter Lili Schönemann bedrückt den Ehescheuen trotz aller Liebe; eine mit dem Grafen Stolberg 1775 unternommene Schweizerreise soll Lilis Bild aus seinem Herzen reißen; nach der Rückkehr entflieht er den Frankfurter Verhältnissen, indem er einer Einladung des jungen Herzogs Karl August nach Weimar folgt, wo er am 7. November 1775 anlangt.
Zusammen mit dem acht Jahre jüngeren, soldatisch-derben und jugendlich unbändigen Herzog setzt er die Philister des Ländchens durch allerlei Tollheiten in Schrecken, wird 1776 trotz des Widerspruchs der ersten Staatsbeamten als Geheimer Legationsrat in die Regierung berufen, 1782 geadelt, übernimmt das Kammerpräsidium und leitet bald die ganze Staatsverwaltung. Mit Wieland schließt er Freundschaft, Herder wird von ihm nach Weimar gezogen, sein großes Erlebnis aber ist Charlotte von Stein, die, obwohl sieben Jahre älter als er, Mutter von sieben Kindern, kränkelnd und nicht schön, eine derartige Macht über ihn gewinnt, dass sie für viele Jahre sein Herz beherrscht. Sie wird "die edle Besänftigerin der wilden Triebe seines Herzens", sie tropft dem heißen Blute Mäßigung, sie, die aristokratische Dame, macht aus dem brausenden Stürmer und Dränger den beherrschten, auf edle Formen haltenden Mann. Die dichterischen Arbeiten wollen nicht recht vorwärts; für das Liebhabertheater werden Kleinigkeiten geschrieben, aber alles Größere bleibt stecken: Die Geschwister, Wilhelm Meister, Iphigenie, Tasso. Um sich selbst wiederzufinden, flüchtet er von Karlsbad aus 1786 nach Italien. Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Sizilien fesseln ihn; die "Iphigenie" erhält ihre endgültige Form, "Egmont" wird vollendet, "Tasso" gefördert, der Faust (Hexenküche) weitergeführt. Seine innere Wandlung vollendet sich in Italien. Im Juni 1788 kehrte er wieder nach Weimar zurück; die Entfremdung, die zwischen ihm und Frau von Stein eingetreten war, führte zum Bruche, als er einen freien Liebesbund mit der jungen, frischen Christiane Vulpius einging, die ihm im Dezember 1789 den ersten Sohn schenkte. Die "Römischen Elegien" schildern warmsinnlich das Liebesglück mit dem "bräunlichen Mädchen". Naturwissenschaftliche Studien werden mit Eifer betrieben (Optik, Entdeckung des Zwischenkiefers beim Menschen usw.); 1790 begleitet Goethe den Herzog ins schlesische Feldlager, 1792 an die französische Grenze (Kanonade von Valmy). Er, der alles Gewaltsame hasste, sah die französische Revolution mit großem Missvergnügen an, sprach allerdings von einer "neuen Epoche der Weltgeschichte", aber zeigte seine Abneigung nicht nur in sehr geringwertigen Theaterstücken (Großkophta, Bürgergeneral usw.), sondern selbst im "Reineke Ruchs", der "unheiligen Weltbibel", die den alten Reineke de Vos so glücklich aufnahmm.
Das Goethe und Schiller-Denkmal in Weimar
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Von außerordentlicher Bedeutung ward dann die nähere Bekanntschaft mit Schiller (1794). Mit den Xenien (1796) hielten beide ein allgemeines Strafgericht über die damalige Literatur, um "nach dem tollen Wagestücke" sich "großer und würdiger Kunstwerke zu befleißigen". Im Jahre 1797 entstehen im Wetteifer mit Schiller die berühmten, den "Balladenalmanach" des folgenden Jahres zierenden Balladen (Braut von Korinth, der Gott und die Bajadere, Schatzgräber, Zauberlehrling). |
Unter Schillers eifrig drängender Teilnahme wird der "Wilhelm Meister" vollendet und die Arbeit am "Faust" wieder aufgenommen.
Im Winter 1796/97 wächst dem Tätigen das idyllische Epos "Hermann und Dorothea" als reife Frucht zu; 1798 gründet er mit Heinrich Meyer die "Propyläen", die mit aller Strenge die klassischen Ideale vertreten; daneben geht die Sorge um die Weimarer "Musterbühne", für die er die blutlose, stilistierte "Natürliche Tochter" schafft. Aus klassizistischen Anschauungen heraus preist er "Winkelmann und sein Jahrhundert", das letzte Werk, das er Schiller mitteilen kann. Der Tod des Freundes (1805) erschüttert ihn heftig; die Gefährdung aller für sicher gehaltenen Lebensverhältnisse durch die Schlacht bei Jena bewegt ihn dazu, sich am 19. Oktober 1806 mit Christiane Vulpius trauen zu lassen. Auf die Glückwünsche antwortet er: "Sie ist immer meine Frau gewesen." Im Jahre 1808 stirbt Frau Rat; im gleichen Jahre finden die denkwürdigen Unterredungen mit Napoleon statt. Während des Darniederliegens Deutschlands vollendet sich dann eine neue tiefgreifende Wandlung in Goethe. Der "zu antik Gewesene", der sich seinem Volke fast entfremdet hat, kehrt gleichsam in sein Vaterland zurück. Er liest das Nibelungenlied vor, nimmt lebendigen Anteil an "Des Knaben Wunderhorn", das Arnim und Brentano ihm gewidmet hatten, und wird durch Sulpz Voisserée zu einer freundlicheren Stellung gegenüber der Gothik veranlasst.
Erstausgabe des Faust
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Der vollendete Faust I wird 1808 der Nation dargebracht; in den 1809 geschriebenen "Wahlverwandschaften" zeigt sich ein ganz neuer sittlicher Geist; die drei ersten Teile der großen Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" (1811-1814) führen ihn in die Jugend zurück und verjüngen ihn selber. Er besucht 1814 und 1815 die Stätten seiner Kindheit, eine neue Liebe, zu Marianne von Willemer, beflügelt ihn, neue Lieder keimen auf, unter dem Einfluss der Hammerschen Hafis-Übersetzung erhalten sie orientalisches Gewand und erscheinen 1819 als "Westöstlicher Divan". |
Inzwischen war 1816 Christiane gestorben, aber 1817 kam mit Ottilie von Pogwisch, der Gattin von Goethes Sohn August, eine froh begrüßte Schwiegertochter ins Haus. Noch einmal packte den Greis eine heftige Leidenschaft: den 74jährigen zu der 18jährigen Ulrike von Levetzow, mit der er 1822 und 1823 in Marienbad und Karlsbad zusammengraf. Die glutvolle "Trilogie der Leidenschaft" war die schöne Frucht dieser Greisenliebe. Die letzte Lebenszeit bringt noch mit den "Wanderjahren" den Abschluss des "Wilhelm Meisters", die Arbeit am Faust II. Auch er muss erfahren, dass "lange leben viele überleben" heißt: Frau von Stein, der Herzog, die Herzogin, sein Sohn August starben um ihn herum. Er ging "vorwärts über Gräber". Im Juli 1831 ward der zweite Teil des "Faust" abgeschlossen; sein ferneres Leben sah er nun als reines Geschenk an, ohne in der Tätigkeit aufzuhören. Eine Erkältung führte das Ende herbei. Am 22. März 1832, gegen Mittag, starb er. Ganz Europa erschütterte die Nachricht seines Todes.
Aus: "Geschichte der Weltliteratur" von Carl Busse. |
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«Wir haben keine neuere Literatur. Wir haben Goethe
und Ansätze.»
Hugo von Hofmannsthal
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