Als Giovanni 13 Jahre alt war, kam er in die Lehre zu einem Geldwechsler, aber nach sechsjähriger kaufmännischer Tätigkeit erlangte er die Erlaubnis, in Neapel, in dem er sich eben befand, zum Studium überzugehen, und zwar zum Studium des kanonischen Rechtes. Doch in der üppigen Stadt scheint sich der Jüngling mehr in das Studium der Liebe und der ihn umgebenden menschlichen Leidenschaften vertieft, als kühle Weisheit gekostet zu haben, und als er Ostern 1334 in einer Kirche Neapels eine Frau sah, die sein Herz sofort in Flammen versetzte, war es mit dem Studium erst recht vorbei. Als Fiammetta hat Boccaccio diese Frau poetisch verherrlicht; in der Tat war sie eine natürliche Tochter König Roberts von Neapel, Donna Maria, die Gattin eines vornehmen Edelmannes. Sie fand eine Zeitlang an dem jungen Florentiner Gefallen und ward seine Geliebte. «So genoss,» sagt Hermann Hesse, «wie in der schönsten Abenteuernovelle der Bastard eines kleinen Kaufmannes die Tochter eines großen Königs.» Das kanonische Recht ward nun ganz beiseite gestellt; Giovanni las mit Begeisterung die Alten und schrieb selber, vielleicht für seine Geliebte, viele Romane und Gedichte. Von 1341-1344 war er wieder in Florenz, dann kehrte er nach Neapel zurück, wo Donna Maria, die dem jungen Dichter aber wahrscheinlich längst den Laufpass gegeben hatte, an der Pest starb. Der Tod des Vaters rief ihn 1348 endgültig nach Florenz zurück. Er widmete sich dort ernsten Studien, lernte das Griechische, ließ auf seine Kosten das erste vollständige Manuskript des Homer nach Florenz kommen, übernahm im Dienste der Stadt mehrmals Gesandtschaften, wurde der erste Kommentator der Göttlichen Komödie Dantes, den er außerordentlich verehrte und dessen Leben er auch beschrieb, und befreundete sich innig mit Petrarca.
Aus: "Geschichte der Weltliteratur" von Carl Busse.
Der InhaltIl Decamerone (vom griechischen deka=zehn und hemera=Tag, also Zehntagebuch) erzählt bekanntlich, dass im Jahre 1348, als die Pest in Florenz schrecklich wütete, eines Dienstags sich in der Kirche di Santa Maria Novelli sieben junge, edelgeborene und befreundete Damen zwischen 18 und 28 Jahren durch einen Zufall trafen. Die älteste, Pampinea, macht den Vorschlag, gemeinsam die Stadt des Todes zu fliehen und sich auf ein Landgut zu begeben. Während sie noch beraten, finden sich drei junge Männer in der Kirche ein, von denen jeder in eins der Mädchen verliebt ist, und alle zehn begeben sich nun mit ihrer Dienerschaft nach einem zwei Meilen von Florenz gelegenen Schlösschen, wo sie fröhlich und geschwisterlich einige Zeit verbringen. An jedem Tag wird ein anderer der Gesellschaft zum König gewählt und hat für das Wohlbehagen und die Unterhaltung der übrigen zu sorgen. Pampinea als Königin des ersten Tages bestimmt, dass nachmittags Geschichten erzählt würden, und zwar sollte jeder der Zehn über den Stoff sprechen, der ihm am meisten zusagte. Am zweiten Tag, unter Philomenens Regierung, wird das Thema aufgegeben, von Leuten zu berichten, die nach verschiedenem Unheil am Ende doch an ein glückliches Ziel kommen. Am dritten Tag verlangt die Königin Neiphile Erzählungen des Inhalts, wie einer durch Scharfsinn ein ersehntes Ziel erreichte oder etwas verlorenes zurückgewann. Am vierten Tage wird unter Philostratus' Regierung von Liebe gesprochen, die unglücklich, am fünften unter der Königin Fiammetta von Liebe, die nach mancherlei Widerwärtigkeiten doch glücklich endete. Am sechsten Tage stellt Elise die Aufgabe, Beispiele beizubringen, wie leichtfertig Geneckte durch schnelle und witzige Antwort der Gefahr und dem Spott entgingen. Am siebenten Tage, unter König Dioneus, werden Streiche erzählt, welche Frauen ihren Männern, am achten, unter Laurettas Zepter, Streiche, die sich Eheleute oder anderen Personen gegenseitig spielten. Am neunten Tage erlaubt Königin Emilia jedem zu berichten, was ihm eben behagt, und am zehnten, unter Pamphilus' Regierung, muss jeder Beispiele von Edelmut und Hochsinnigkeit beibringen. Damit schließt dann das Buch "Il Decamerone, beigennant der Erz-Kuppler", so dass es also genau 100 Geschichten enthält.
Am bekanntesten von den Geschichten des Decamerone ward durch Lessings Nathan den Weisen wohl jene von den drei Ringen, die als dritte Novelle des ersten Tages von Philomena erzählt wird. Weit berühmt ist auch jene von dem armen Adeligen, der seinen einzigen Falken opfert, um der Geliebten eine Mahlzeit vorsetzen zu können. Eine andere, die letzte Erzählung des ganzen Werkes, behandelt den Griselda-Stoff, der seitdem von Dichtern aller Länder und Zeiten, zuletzt (1909) von Gerhart Hauptmann, aufgenommen ward. Und wer hat noch nicht über den Bruder Zippolla gelacht, der den Gläubigen eine Feder des Engels Gabriel vorzeigen will und der sich so wundervoll herausredet, als er in seinem Kästchen statt der Feder ein paar Kohlen findet? Witziger noch ist der Koch, der seiner Geliebten eine Keule von dem gebratenen Kranich abschneidet, seinem Herrn erzählt, dass Kraniche nur eine Keule und ein Bein besitzen und zum Beweise dessen bei einem Spazierritt auf die Vögel, die nach ihrer Art auf einem Fuße stehen, hinweist. Der Herr aber schreit Ho! Ho!, dass die Kraniche erschreckt auch das andere Bein herunterlassen und entfliehen. «Nun, Spitzbube?» fragt er dann zornig. «Ja,» sagt der Koch, «hättet Ihr den von gestern abend auch so angeschrieen, hätte auch er die andere Keule noch herausgestreck!» Am witzigsten und gelungensten sind jedoch jene Schwänke, die ins sexuelle Gebiet abschweifen. Die derbe Komik, die darin regiert, ja, die nun einmal nicht wegzuleugnende Obszönität der Stoffe wird durch die Form etwas geadelt; Boccaccio ist niemals wählerisch in der Situation, im Thema, aber stets im Worte. Er selbst hat sich am Schlusse seines Werkes auf gute Art gegen den Vorwurf der Unsittlichkeit verteidigt, und wenn der saftigen Stücklein, wie sie besonders Dioneus erzählt, auch reichlich viel sind, so ist nicht nur das Schlimmste davon auf das Konto der Zeit zu setzen, sondern es bleibt auch bestehen, dass Boccaccios ganz auf das Konkrete gerichtete Natur, sein Mutwille, seine Grazie nirgends mehr triumphieren, als in diesen etas lasziven Novellen, so dass, wenn man sie entfernen wollte, ein großer Teil des Besten, was er geschrieben hat, verschwinden würde. Stärker noch als gegen die Obszönität einiger Stücke hat sich der Unwille vieler gegen den Hohn und Spott gerichtet, mit dem der Decamerone die Mönche und Nonnen, die hohe und niedere Geistlichkeit, das ganze versumpfte Priestertum des 14. Jahrhunderts überschüttet.
Aus: "Geschichte der Weltiteratur" von Carl Busse. |
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Interpretation, Inhaltsangabe, Erläuterung von Klassikern der Weltliteratur nicht nur für Referate