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Rabelais

François Rabelais
(nach dem einzig existierenden Portrait)
Als Sohn eines wohlhabenden Advokaten, der mehrere Güter und Weinberge besaß, ward François Rabelais in dem Städtchen Chinon (oder dem nahegelgenen Weiler La Devinière) um 1495 geboren. Er besuchte Klosterschulen, ward Franziskaner, empfing um 1520 die Priesterweihe und eignete sich ein reiches Wissen an. Aber seine Ordensbrüder sahen in seinem Studium des Griechischen eine Ketzerei, und mit einem abgründigen Hass gegen die Dummheit und Faulheit der Bettelmönche floh Rabelais vor ihren Belästigungen 1524 zu dem ihm befreundeten Bischof von Maillezais.
Mit Erlaubnis des Papstes trat er zu den dortigen Benediktinern über, studierte 1530 in Montpellier Medizin, war 1532 bis 1534 Hospitalarzt in Lyon, begleitete in den folgenden Jahren den Kardinal Du Bellay mehrmals nach Rom und praktizierte in den verschiedensten Städten Südfrankreichs. In der Furcht vor religiösen Verfolgungen entwich er 1546 nach Metz, wurde dort Stadtarzt, war 1547 wieder im Gefolge des Kardinals Du Bellay in Rom und kehrte 1550 nach Frankreich zurück, wo er die Pfarrei von Meudon erhielt. Auch sie gab er bald auf. Er starb am 9. April 1553 zu Paris. Seinem Gönner hätte er, wie man erzählt, durch einen Pagen bestellen lassen, er ginge ein großes Vielleicht aufsuchen ("Je m'en vais chercher un grand Peut-Etre"). Der Dichter de Bais hat die nachfolgende Grabschrift auf ihn gedichtet:
O Pluto, Fürst der schwarzen Rachen,
Wo niemand lacht in deiner Näh',
Empfange heut' den Rabelais
Und all die Deinen werden lachen.

Aus: "Geschichte der Weltliteratur" von Carl Busse

Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel
Ausgabe des Insel Verlags
Gargantua et Pantagruel, 1532-1552.
Von François Rabelais.

«Geneigte Leser, die ihr lest, / Ich bitt' euch, scheuchet jedes Vorurtheil / Und nehmt kein Ärgernis! nicht Lug und Trug, / Und was von Übel ist, biet' ich euch feil / Viel lernen freilich werdet ihr hier nicht, / Es wäre denn das eine: herzlich lachen! / Doch gerade das zu lernen scheint mir Pflicht. »

Der Inhalt

Zuerst, 1532, erschien der Roman "Pantagruel", zwei Jahre darauf ward "Das unschätzbare Leben des großen Gargantua, des Vaters des Pantagruel" veröffentlicht. Es trat, wie schon der Titel verrät, als erster Teil, als Vorgeschichte vor den "Pantagruel". Im Laufe der Zeit wurde das ganze Werk noch durch drei weitere Bücher vervollständigt, die Rabelais mit seinem Namen zeichnete, während er vorher mit anagrammatischer Spielerei einen Maitre Alcofrybas Rasier als Verfasser angegeben hatte. Aus der Andeutung des Inhalts wird hervorgehen, wie willkürlich und unmethodisch der Gargantua und Pantagruel angelegt und durchgeführt sind, aber auch, wie üppig sie im eigenen Fett schwimmen und welch eine unausschöpfbare Fülle an lachender Weisheit, launiger Phantasie, an Wissen und Weltklugheit sie enthalten.

Es ist die groteske Geschichte einer Riesendynastie, die Rabelais erzählt. Gargantua (vom altfranzösischen gargante, Gurgel), im keltischen Volksmärchen ein unersättlicher Fresser und Säufer, wird hier als Sohn des Grandgoschier während eines Zechgelages geboren, brüllt gleich bei seinem Eintritt in die Welt, dass er zu trinken haben wolle, und wird von 17913 Kühen gesäugt, sintemal keine Amme den Nahrungsbedarf des Helden stillen kann. Er hat auch schon von früh an "ein durchschlägig Gesäß". Die natürlichen Verrichtungen, die Akte der Verdauungstätigkeit spielen bei Rabelais überhaupt eine hervorragende Rolle und werden ebenso häufig wie gründlich herangezogen. Der Humor der Zeit arbeitete eben mit solchen höchst drastischen Mitteln. Nur in dieser Beziehung ist auch Rabelais als echter Renaissancesohn von einer geradezu strotzenden Unanständigkeit, einer "Naturderbheit", die kaum übertroffen werden kann. Dafür fehlt jede Lüsternheit bei ihm; Frauen spielen in seinem Werk so gut wie gar keine Rolle. Der heranwachsende Gargantua wird von einem "großen sophistischen Doktor, namens Meister Thubal Holofernes" und einem "anderen alten Huster, namens Meister Hiob Zäumlein" viele Jahre erzogen und unterrichtet, bis der Vater merkt, dass sein Sohn "davon ganz töricht, dämisch, faslich und blöd im Kopf" wird, weil seiner alten Lehrmeister "Wissen eitel Viehzeugs und ihre Weisheit nichts als leeres Stroh wär', welches die mguten edlen Geister verbastardisiert' und alle Blüt' der Jugend erstickt'." Hier fühlt man den Hass der Erzählers gegen die alte scholastische Erziehungsweise, unter der er selber gelitten hat. Gargantua wird nun den Händen eines anderen "modernen" Lehrers überantwortet, mit dem er nach Paris zieht. In schönen Kapiteln schildert Rabelais da die neuen pädagogischen Ideale.
Nicht nur der Geist, sondern auch der lange vernachlässigte Körper wird gestählt und geübt, alles wird darauf abgelegt, den Zögling für das Leben kräftig und tauglich zu machen. Die burlesken Späße fehlen zwischen dem Ernst nicht: so langt sich Gargantua die Glocken von Notre Dame als Schellen für seine ungeheure Mähre. Mittlerweile bricht in seiner Heimat ein Krieg aus; Vater Grandgoschier ruft den Sohn heim; der reißt sich einen gewaltigen Baum als Spieß aus der Erde und zerstört damit ein feindliches Schloss, wobei er die ihn treffenden und umsausenden Kanonen- und Büchsenkugeln für Traubenkerne und Fliegen hält.
Aus einer frühen Ausgabe

Eine ungeheure Menge der Feinde ersäuft in der "Harnflut" seiner Mähre; Gargantua selbst hat durch solche natürliche Verrichtung 260418 neugierige Pariser einmal elend ertrinken lassen "ohne die Weiber und Kinder". Man erinnere sich an Swifts Gulliver, der einen Brand bei den Liliputanern auf eine ähnliche leichte und natürliche Weise löscht. Nach seinem Siege strählt sich der Held mit einem hundert Stab langen Kamm aus Elefantenzähnen das Haar, aus dem die darin stecken gebliebenen Geschützkugeln fallen. Dann isst er in einem Salat aus Versehen sechs Pilger, die sich während der Schlacht darin versteckt hatten, aber noch glücklich in hohlen Zählen Asyl finden. Und schließlich traktiert er herrlich den Mönche Bruder Jean des Entommeures (Johann von Klopfleisch), der sich im Kampf gegen die Feinde ausgezeichnet hat. Der Mönch, sagt Rabelais, ist sonst in aller Welt verabscheut; er gleicht dem Affen, der nicht "das Haus hütet wie der Hund, nicht am Pflug zeucht wie der Ochs, nicht Woll' und Milch bringt wie das Schaf, nicht Lasten trägt wie das Pferd, sondern dessen ganzes Tun nur ist, alles zu beschmutzen und zu verderben." Aber der wackere Jean ist ein anderer Kerl und darf sich zur Belohnung im Land Thelem (=freier Wille) eine Abtei stiften, die das Widerspiel aller anderen ist, die "nur schöne, wohlgestalte Männer und Frauen" aufnimmt, und zwar immer paarweise, die alle Ordensregeln aufhebt und nur eine einzige anerkennt: "Tu, was du willst!" Denn jeder Zwang erweckt sklavische Begierden, das Gelüst nach dem Verbotenen; aber die freien, in guter Gemeinschaft lebenden Menschen haben "schon von Natur einen Sporn und Anreiz, der sie beständig zum Rechttun treibt". Dem mönchisch-mittelalterlichen Gehorsamkeitsideal wird hier also in schärfster Weise das freie Selbstbestimmungsrecht des Menschen entgegengesetzt.

Im "Pantagruel", dessen erstes Buch dem "Gargantua" ja vorausging, wird uns ganz ähnliche Kost geboten. Wir erleben Geburt und Jugendtaten des Helden, sehen auch ihn, wie seinen Vater, nach Paris ziehen, hören in einem Brief Gargantuas von dem Unterschied der Zeit und der Erziehung und wundern uns nicht, wenn auch Pantagruel schließlich eines Krieges wegen in die Heimat zurückbeordert wird und wenn er allerlei Kämpfe und Abenteuer da besteht. Vorher entscheidet er einen schwierigen Rechtsstreit - hier fallen prächtige Hiebe gegen den üblichen Gerichtsbetrieb und seine Akten, Repliken, Dupliken, Appellationen und das damit verknüpfte ähnliche "Teufelszeug" - und findet vor allem in dem 35jährien Panurg einen Begleiter, der eine ähnlich große Rolle spielt, wie der Mönch Jean im Gargantua. Panurg kennt an 63 verschiedene Mittel, sich Geld zu machen, "davon das gewöhnlichste und ehrlichste noch der Weg des heimlichen Mausens war." Er ist "ein Taugenichts, Gauner, Saufaus wie keiner mehr; im übrigen der bravste Knab' auf Gottes Erden." Im zweiten Buch des Pantagruel, im dritten des ganzen Werkes, hält er seine berühmte Lobrede auf die Schuldner und Gläubiger, und alles Folgende dreht sich darum, ob er heiraten soll oder nicht. Er fragt einen Theologen, einen Mediziner und einen Philosophen danach, aber da ihm bei seiner Furcht, Hanrei zu werden, die Antworten nicht genügen, so tritt er die Seefahrt zum "Orakel der göttlichen Flasche" an. Die abenteuerlichen Reisebeschreibungen werden dabei verspottet, die verschiedensten Länder und Inseln (Plattnasien, Schikanenland, Läut-Eiland) werden angefahren, die Heimat der Papsthasser wird ebenso berührt wie die der Papstsüchtigen, der Papimanen, und wenn die Satire hier etwas bitter und scharf wird, so wird sie bei den "Philosophen", die Ziegenböcke melken und den Wind in Netze fangen, wieder lustig. Zuletzt kommt Panurg mit seiner Gesellschaft zum Bouteillentempel, zur göttlichen Flasche, hört aber nur das Wort "Trink!", so dass die Frage, ob er heiraten soll oder nicht, unentschieden bleibt.

Aus: "Geschichte der Weltliteratur" von Carl Busse

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«Mag sein Loblied auf das Leben noch so maßlos sein, sein Humor noch so derb, seine Freude am Saftigen und Quellenden noch so trunken sein, er ist dennoch heute noch wunderbar lebendig, und ein Kapitel aus dem Gargantua mag einem heutigen Leser recht wohl als Katerfrühstück nach der Lektüre problematischer Tagesliteratur dienen. »
Hermann Hesse

Zu lesen

Ausgabe des Winkler-Verlages
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Ausgabe des Insel-Verlages mit Illustrationen von Gustrave Doré
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Pantagruel im Volltext auf französisch

Rabelais et son temps - Französische Rabelais-Seite
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