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John Milton
John Milton, nach einem Gemälde von Pieter van der Plas
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John Milton ward am 9. Dezember 1608 in London geboren. Sein Vater, ein Notar, der zum Protestantismus übergetreten und deshalb enterbt war, huldigte mit der ganzen Familie einer strengen, puritanisch gefärbten Frömmigkeit, liebte aber auch Musik und Dichtkunst. Der Sohn ward durch Hauslehrer unterrichtet, dann auf die Paulsschule geschickt und zeichnete sich schon als Schüler durch Fleiß und Streben aus. Im Jahre 1625 bezog er die Universität Cambridge. Seine Studiengenossen nannten ihn scherzhaft "das Fräulein", weil er schön und zart war und ihre Streiche nicht mitmachte. | Er arbeitete bis in die Nacht hinein, wodurch er allerdings seine sowieso schwachen Augen schädigte, erwarb sich große Gelehrsamkeit, schrieb als erster Engländer seit der Renaissance lateinische Briefe von klassischer Eleganz und kehrte 1632 als Magister der Freien Künste nach Hause zurück.
Bis 1638 widmete er sich auf einem väterlichen Landgut poetischen Arbeiten, um dann eine lange Reise zu unternehmen, die ihn über Paris, Nizza, Genua, Livorno und Pisa nach Florenz, Rom und Neapel führte. Es ist charakteristisch, dass er wegen seines streitbaren Protestantismus in Rom in Lebensgefahr geriet. Die Nachrichten von den in der Heimat ausgebrochenen Unruhen bestimmten ihn zur Rückkehr.
Auf dieser Rückkehr besuchte er die ihm als reformiertes Land und als Republik gleich sympathische Schweiz und hielt sich besonders in Genf, der Hauptstadt des westeuropäischen Protestantismus, auf. Die poetischen Pläne, die er heimbrachte, sollten aber zunächst nicht reifen. Er unterrichtete erst seinen Neffen und die Söhne einiger Freunde und ward dann mehr und mehr in die Parteikämpfe und Unruhen des Vaterlandes verstrickt. Hatten ihn zuerst religiöse und pädagogische Probleme beschäftigt, so wandte er sich bald auch den politischen und sozialen zu. Während der 20 Jahre der englischen Revolution griff er als Tagesschriftsteller großen Stils in alle Kämpfe ein, die sein Volk bewegten. Die Schriften, die er da herausgab und die gleich hier Erwähnung finden mögen, scheiden sich in drei Gattungen: Schriften über Kirche und Glauben, über Sitte und Bildung, über Recht und Staat.
Im Jahre 1643 heiratete Milton die Tochter eines royalistisch gesinnten Friedensrichters, Mary Powell, die es als eine heitere und gesellige Natur bei dem ernsten Gatten nicht lange aushielt. Sie fuhr zu den Ihren auf Besuch, und als sie trotz der Mahnungen des Dichters nicht zurückkehrte, sandte er ihr einen Scheidebrief nach Art des Alten Testaments und erklärte seine Ehe für gelöst. Später nahm er die Frau, die nach seiner Ansicht des Mannes Dienerin zu sein hatte, wieder bei sich auf. Sie gebar ihm vier Kinder, aber da die Töchter alle nach der Mutter arteten, so ward Milton immer mehr von der geistigen Minderwertigkeit des Weibes überzeugt. Er hatte inzwischen (1649) wegen seines republikanischen Eifers die Stelle eines lateinischen Sekretärs der auswärtigen Angelegtenheiten erhalten und bereitete als solcher die Staatsdokumente und den Briefwechsel mit den fremden Regierungen für Cromwell vor. Infolge angestrengter Arbeit erblindete er 1652. In demselben Jahre verlor er seine Frau. Er heiratete 1656 von neuem, um 1658 zum zweitenmal Witwer zu werden. Als 1660 die republikanische Staatsform zu seinem Schmerze wieder von der monarchischen abgelöst ward und die Stuarts zurückkehrten, musste sich der Dichter verborgen halten. Zwei seiner politischen Schriften wurden durch Henkershand verbrannt, schließlich ward ihm aber Verzeihung und Straflosigkeit gewährt. Er heiratete nun 1663 zum drittenmal und fand in seiner Gattin (Elisabetz Minshul) eine brave Pflegerin.
Doch verschlechterte sich das Verhältnis zwischen ihm und seinen älteren Töchtern so, dass sie das Haus verließen. Nur die jüngste Tochter Deborah hielt zu dem Vater. Während der Pest von 1665 zog Milton in ein Landhaus zu Chalfolt St. Giles. Sein großes Gedicht, das "Verlorene Paradies", hatte er in den Jahren 1658-1665 vollendet. Es erschien 1668; vier Jahre darauf folgte die Fortsetzung, das "Wiedergefundene Paradies" und das Drama "Samson Agonistes".
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Miltons Landhaus in St. Giles
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Am 8. November 1674 starb der Dichter arm und verlassen an der Gicht, die ihn lange gequält hatte.
Aus: "Geschichte der Weltliteratur" von Carl Busse.
Paradise Lost
Titel der Erstausgabe von 1667
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Paradise Lost, 1658-1665. Von John Milton.
«Of Mans First Disobedience, and the Fruit /
Of that Forbidden Tree, whose mortal tast /
Brought Death into the World, and all our woe, /
With loss of EDEN, till one greater Man /
Restore us, and regain the blissful Seat, /
Sing Heav'nly Muse, that on the secret top /
Of OREB, or of SINAI, didst inspire /
That Shepherd, who first taught the chosen Seed...»
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Der Inhalt
Das in reimlosen Jamben geschriebene und in 12 Gesänge geteilte Epos beginnt mit der Anrufung der Himmelsmuse, die den kühnen Gang, der noch "in Vers und Prosa ungewagte Dinge" erstrebt, segnen und unterstützen soll. Des Menschen erste Schuld, der Verlust Edens, soll besungen werden. Satan, der Uranstifter des Falles, wird in einer berühmten Schilderung vorgeführt.
Mit seiner schaudervollen Horde liegt er betäubt in dem Feuerpfuhl, in den Gottes Zorn ihn und seine Mitempörer gestürzt hat. Aber er ermuntert sich, weckt in ungebeugtem Rebellenmut und Rachedurst seine Legionen, und in einer allgemeinen Beratung, dem Teufelsparlament (Gesang 2), wird beschlossen, dass er auskundschaften soll, ob die von Gott geplante neue Welt mit neuen Wesen, den Menschen, schon erschaffen sei. Denn nach Beelzebubs Rat hat es keinen Sinn, direkt gegen Gottes Allmacht vorzugehen, aber man will versuchen, den Schöpfer in seinem neuen Lieblingsgeschöpf zu treffen, den Menschen zu verführen und so Gottes Ratschluss hohnvoll zu durchkreuzen. |
Satan, der gefallene Engel
Illustration von Gustave Doré
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Zu diesem Ende begibt sich Satan auf die Fahrt und nimmt den Flug zur Erde. Der dritte Gesang setzt mit dem rührenden Preise des heiligen Lichtes ein, das des Sängers Augen nicht mehr besucht. Aus heiligem Licht erschaut Gott-Vater Satans Beginnen und verkündet vorschauend seinem eingeborenen Sohne, dass der Mensch, von Satan verführt, fallen würde. Er selbst, Gott, hat Menschen und Engel frei erschaffen; keine Notwendigkeit regiert sie; sündigen sie, so ist es ihre eigene Schuld. Für die durch eigenen Trieb gefallenen Anhänger Satans gibt es keine Gnade; den nur verführten Menschen jedoch kann Gnade werden, wenn ein Himmlischer den Tod, den sie verdient haben, durch seinen Tod der himmlischen Gerechtigkeit abkauft. Dazu erbietet sich die göttliche Liebe des Sohnes, dem dafür der ganze Himmel Preis singt. Inzwischen hat sich Satan seinem Ziele genähert, sieht das Paradies vor sich und lässt sich (Gesang 4) als Rabe auf einem Baum nieder. Hier folgt die vielzitierte Beschreibung des Gartens Eden, die aber doch nicht an Tassos Schilderung der Armidaschen Zaubergärten heranreicht. In nackter Hoheit und glücklicher Einfalt gehen Adam und Eva durch diesen Garten; Satan hört, dass es ihnen bei Strafe des Todes verboten ist, von dem Baum der Erkenntnis zu essen, und baut darauf seinen Verführungsplan. Als Kröte sitzt er nachts am Ohr der schlafenden Eva, um ihr eitles Verlangen im Traum zu erregen, doch himmlische Geister verjagen ihn. Am Morgen erzählt Eva Adam ihren aufreizenden Traum, in dem sie die süße verbotene Frucht gekostet hätte. Gott sendet Raphael ab, um die Menschen zu ermahnen und zu warnen.
In den nächsten Gesängen (5-8) berichtet Raphael dem lauschenden Adam von Satan, seinem Abfall von Gott, dem großen Kampf zwischen Erzengeln und Satansscharen, dem Erscheinen des Gottessohnes, wodurch der Sieg entschieden wird, dem furchtbaren Absturz der Abtrünnigen und den neuen Schlichen Satans, der nun Gott zum Trotz den Menschen verderben wolle. Der wissbegierige Adam fragt dann weiter nach der Weltschöpfung, hört die Geschichte der sechs Schöpfungstage, erzählt seinerseits dem ihn zur Festigkeit mahnenden Engel von seinen Erinnerungen und seinem Beglücktsein durch Eva.
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"Adam unparadiz'd" - aus Miltons Manuskript
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Erst mit dem neunten Gesange setzt die eigentliche Handlung wieder ein. Satan schleicht sich als Nebel ins Paradies, schlüpft in die schlafende Schlange, findet Eva allein und bringt sie durch Schmeicheleien und Trugschlüsse dazu, die lockende Frucht vom Baum der Erkenntnis zu kosten. Sie bringt auch dem entsetzten Adam von der Frucht, der aus überströmender Liebe sein Geschick an das ihre binden will und deshalb gleichfalls von der Frucht genießt. Beide entbrennen in fleischlicher Lust und geben ihrem Verlangen nach; mit der Reinheit schwindet ihre Unbefangenheit, aus Schuld wächst die Scham, und im ersten Zwist machen sie sich gegenseitig Vorwürfe. Die beiden Höllentorwächter Sünde und Tod kehren auf der Welt ein; das verzweifelte Menschenpaar fleht reuig um Gnade und Erbarmen, und Gottes Sohn bittet für sie (Gesang 11).
Nach dem Sündenfall
Illustration von Gustave Doré
| Gott sendet den Erzengel Michael mit einer Schar von Cherubim ab, die sündigen Menschen aus dem Paradiese zu vertreiben, aber als Trost darf der Erzengel vor Adam in großen Visionen die Zukunft entrollen, erst das Geschehen bis zur Sintflut, dann (Gesang 12) die Geschichte der Welt bis zum großen Rettungswerk Christi, dem sich ein Ausblick auf das Jüngste Gericht anschließt. Von diesen Verheißungen getröstet, weckt Adam die schlafende Eva, der gleichfalls ein glücklicher Traum prophezeit hat, dass sie durch eigenen Samen gewürdigt ist, das verlorene Paradies einst wiederzugewinnen.
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Dann müssen sie fort.
Rasch führt der Engel die Zaudernden von dannen. Eva folgt Adam: Mit dir zu gehn ist Paradiesverweilen, doch ohne dich wär hier selbst höchste Pein. Als sie sich noch einmal umsehen, ist ihre bisherige selige Heimat von Flammengluten furchtbar überwallt. Sie weinen, aber ihre Tränen trocknen bald: vor ihnen liegt die weite Welt. So wandern sie langsam, doch Hand in Hand, aus Eden ihren Weg.
Aus: "Geschichte der Weltiteratur" von Carl Busse.
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«Der Weiträumigkeit des Epos, in dem Milton mit visionärer Kraft versuchte, den gesamten Kosmos abzubilden, und dem tiefen religiösen Ernst, mit dem er das Schicksal des Menschengeschlechts darstellte, verdankt das Werk seine ungeheuere, kaum zu überschätzende Wirkung auf die Zeitgenossen und die Nachwelt.»
Wolfgang Weiß im Kindlers Literatur Lexikon.
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